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Asien Kurier  10/2010 vom 1. Oktober 2010
Asien

Preisgünstig, Effizient, Umweltfreundlich

Videokonferenzsysteme erobern den Firmenalltag

Von Daniel Müller in Berlin

Ein Non-Stop-Flug von Frankfurt nach Shanghai dauert etwa 11 Stunden und kostet in der Business Class im Durchschnitt 3.000 Euro. Aufgrund des deutlichen Zeitunterschieds ist darüber hinaus auch eine gewisse Akklimatisierungsphase zur Abschwächung des Jetlags notwendig. Führt man sich dann noch den in aller Regel ohnehin schon chronisch überladenen Terminkalender von Fach- und Führungskräften vor Augen, wird schnell einsichtig, dass derartig ausgedehnte Dienstreisen nur bei relevanten Verhandlungen mit Geschäftspartnern oder zur Koordinierung von zentralen Betriebsabläufen der eigenen Niederlassungen zu rechfertigen sind.

In Zeiten knapper Unternehmenskassen, die sich unmittelbar in reduzierten Reisebudgets niederschlagen, rückt zudem neben dem Zeit- auch der Kostenaspekt immer stärker in den Vordergrund. Für die Abwicklung eher alltäglicher Prozesse und Problemstellungen besteht entsprechend ein erhöhter Bedarf nach anderweitigen Kommunikationsformen.

Angesichts des in jedem Handbuch für Führungskräfte obligatorischen Ratschlages, dass man seine Geschäftspartner und Mitarbeiter sprichwörtlich �im Auge� behalten sollte, ist der traditionelle Griff zum Telefonhörer dabei nur sehr eingeschränkt als angemessene Alternative zur Vis-à-vis-Kommunikation vor Ort anzusehen. Die menschliche Stimme allein ist schlicht nicht ausreichend, um sich ein umfassendes Bild über einen anderen Kommunikationsteilnehmer zu machen. Dieses Manko besteht bei internetbasierten Videokonferenzsystemen, bei denen sowohl Audio- als auch visuelle Signale übertragen werden können, nicht. Allerdings steckte diese Technologie lange Zeit in den Kinderschuhen und mussten sich die Anwender mit überaus grieseligen und verwackelten Bildern zufrieden geben. Die fragwürdige Qualität der angebotenen Anlagen hatte zur Folge, dass Videokonferenzen im Unternehmensalltag bislang allenfalls sporadisch eingesetzt wurden.

Zuletzt konnten die entsprechenden Standards bei Ton und Bild jedoch � nicht zuletzt aufgrund schnellerer Internetverbindungen � erheblich verbessert werden, sodass die so genannte �Bild-Telefonie� inzwischen eine verstärkte Anwendung findet. Während dieser Kommunikationskanal prinzipiell für alle Unternehmen, in denen sich verschiedene Subeinheiten untereinander abstimmen müssen, von Interesse ist, profitieren natürlich diejenigen Unternehmen besonders, die hierbei außergewöhnlich lange Distanzen wie etwa nach Asien zu überwinden haben.

Der Nutzen eines Einsatzes von Videokonferenzsystemen ergibt sich dabei auch aus dem Charakter von Geschäftsreisen. Laut einer Studie von Easynet aus dem Jahr 2009 nutzen Manager nur 55 Prozent der für eine Dienstreise anfallenden Zeit für die Abarbeitung der betreffenden Aufgaben � 45 Prozent nehmen dagegen der Weg zum Flughafen, der Flug, das Einchecken im Hotel, Fahrten zum Gesprächstermin usw. in Anspruch. Auch vor Ort kann es sinnvoll sein, auf diese Technologie zurückzugreifen. Speziell in einigen asiatischen Ländern wie China und Indien mit äußerst langen und hindernisreichen Transportwegen kann es durchaus von Vorteil sein, kurze Geschäftstermine eher über Konferenzmedien abzuwickeln.

Im Allgemeinen lässt sich sagen, dass Fach- und Führungskräfte dies auch so sehen: 60 Prozent der befragten Personen sehen in Videokonferenzen eine Möglichkeit, signifikant Zeit zu sparen und Reisekosten zu senken. Das Einsparpotenzial selbst wird von etwa jedem vierten Unternehmen auf bis zu 30 Prozent geschätzt. Gemäß einer im Frühjahr 2010 durchgeführten Erhebung des Verbands Deutsches Reisemanagement e.V. (VDR, www.vdr-service.de) haben rund 63 Prozent der befragten deutschen Unternehmen seit dem Jahr 2008 Video-/Web-/Telefonkonferenzen als Alternativen zur Geschäftsreise durchgeführt. Dies entspricht einem Anstieg zur früheren Befragung um 6 Prozentpunkte.

Dabei sagen Experten dieser Kommunikationsform in den nächsten Jahren deutliche Steigerungsraten voraus. Denn neben den geringen Transaktionskosten besitzen Videokonferenzen noch weitere Vorteile. So weisen Kommunikationsforscher darauf hin, dass Gespräche via Videokonferenzen wesentlich strukturierter ablaufen, als dies bei herkömmlichen Meetings der Fall ist. Darüber hinaus ist mittels Videokonferenzen die Information einer größeren Belegschaft möglich. Dies gilt insbesondere dann, wenn nicht alle betroffenen Mitarbeiter reisen können. Eine andere, bislang eher weniger berücksichtigte Nutzungsmöglichkeit ist es, der einheimischen Belegschaft die anderen Standorte und Kollegen in Mumbai, Seoul und Tokio vorzustellen, um so etwas wie eine länderübergreifende Unternehmenskultur zu befördern. Ein weiterer Aspekt, der für Unternehmen zwar nicht direkt im Vordergrund steht, aber dennoch nicht zu vernachlässigen ist, ist der Umstand, dass von den wegfallenden Reisen natürlich auch die Umwelt profitiert, da vor allem Kohlendioxid eingespart wird.

Insgesamt sind bei der Videokonferenz-Technologie auch zukünftig noch weitere Entwicklungssprünge zu erwarten. So existieren etwa bereits erste Modelle von so genannten Telepräsenzsystemen, bei denen eine Übertragung von Bildern der Gesprächspartner in Lebensgröße möglich ist. Das Einsatzgebiet dieser Systeme dürfte sich aufgrund der mit ihnen verbundenen immensen Kosten jedoch auf absehbare Zeit vorrangig auf die Chefetagen großer Konzerne beschränken. Von dieser Luxusvariante abgesehen, kann in Abhängigkeit von den jeweiligen Bedürfnissen und dem zur Verfügung stehenden Budget aus einer Vielzahl von Angeboten ausgewählt werden. Gelegentliche Konferenzen und Termine mit Kleingruppen lassen sich beispielsweise bequem mit Messenger-Diensten wie Skype, Apple iChat oder dem Windows Live-Messenger durchführen. Für häufige Konferenzen und größere Gruppen bieten sich Systeme wie die von Tandberg, Polycom oder Lifesize an. Hier sind Anlagen bereits ab 2.000 Euro auf dem Markt. Ganze Raumsysteme mit Kameras und Mikrofonen kosten hingegen zwischen 20.000 und 50.000 Euro.

Die Einstiegshürden gerade für mittelständische Unternehmen sind also zumindest für die letztgenannten Systeme relativ hoch. Als Alternative kann indes auch auf Mietmodelle zurückgegriffen werden, bei denen Unternehmen die entsprechende Technik für circa 2.000 Euro pro Monat ausleihen können. Des Weiteren besteht die Möglichkeit, bei einem Anbieter wie Regus, der in 13 deutschen Städten präsent ist, punktuell Videokonferenzräume zu buchen. Angesichts der steigenden Nachfrage arbeiten zahlreiche IT-Unternehmen an neuen Videokonferenz-Programmen, die browserbasiert oder als Download genutzt werden können. Eine zentrale Voraussetzung fast aller Systeme ist jedoch, dass die Konferenz-Teilnehmer das gleiche System nutzen, um eine gute Verbindungsqualität garantieren beziehungsweise um überhaupt einen Kontakt herzustellen zu können.

Allerdings sollte bei allen unbestreitbaren Vorzügen der Videofonie nicht außer Acht gelassen werden, dass auch eine noch so qualitativ hochwertige audio-visuelle Übertragung den persönlichen Kontakt nicht ersetzen kann. Ein Händedruck bleibt ein Händedruck, und das im Geschäftsalltag nicht ganz unwichtige intuitive Verständnis anderer Menschen kann sich erst bei einem unmittelbaren physischen Kontakt ausbilden. Auch der Zwang, sich gezielt auf eine Sitzung vorzubereiten und diese dann hochkonzentriert absolvieren zu müssen, kann dazu führen, dass das �Persönliche� zu kurz kommt. Gerade erfahrene Manager wissen, wie wichtig ein gewachsenes Vertrauensverhältnis zu Geschäftspartnern oder Mitarbeitern ist. Nichts kann Probleme so effektiv aus dem Weg räumen wie ein persönlicher Draht. Dies gilt umso mehr in einem internationalen Arbeitsumfeld, wo bestimmte Verhaltensweisen nicht einfach vorausgesetzt werden können. Und nicht ohne Grund gilt etwa weltweit ein gemeinsames Essen als eine wichtige Etappe bei der Anbahnung nachhaltiger Geschäftsbeziehungen. Mindestens bei Erstkontakten sollte daher grundsätzlich ein persönliches Treffen stattfinden. Angesichts dieser Überlegungen spricht vieles dafür, dass die Videokonferenzsysteme zu einem wichtigen, dabei aber selektiv eingesetzten Kommunikationsinstrument avancieren werden.