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Datum: 2022-12-31

Asien Kurier  vom 1. November 2008

China - Neue Vorzeichen der Globalisierung

Von Moritz Heile in Deutschland.

Nach Jahrzehnten des Superwachstums blicken Anleger, Analysten und Unternehmer im Herbst 2008 mit Skepsis nach Fernost. Zunehmende Inflation, knapper und infolge dessen teurer werdendes Kapital, steigende Rohstoff- und Energiepreise, das Abflachen des Exportbooms und die generelle Unsicherheit an den internationalen Finanzm�rkten haben die gute Stimmung in Ost- und S�dostasien zuletzt eingetr�bt.
Mehr als ein Jahrzehnt nach der Asienkrise 1997 stehen die jungen Volkswirtschaften der Region erneut vor gewaltigen Problemen und Herausforderungen. Die Globalisierung, die steile Wachstumsraten und wachsenden Wohlstand gebracht hat, wird zur Bedrohung f�r die rasanteste Aufholjagd der Weltwirtschaftsgeschichte.
Dass Singapur, S�dkorea, Taiwan und Co. binnen der vergangenen Jahrzehnte im Eiltempo zu den westlichen Industriestaaten nahezu aufgeschlossen hat, ist eng verbunden mit zunehmender internationale Arbeitsteilung, Spezialisierung sowie �bergreifendem Waren- und Informationsaustausch. M�glich wurde dieser Prozess durch die Beseitigung politischer Handelshemmnisse im Rahmen internationaler Abkommen (WTO), vor allem aber durch den rasanten Fall von Transport- und Transaktionskosten. Diese machten es �konomisch m�glich und sinnvoll, Rohstoffe, Vorleistungen, Endprodukte und auch Personen �ber immer weitere Distanzen zu transportieren. Stetig r�ckten andere und weiter entlegene Regionen ins Blickfeld und Interesse der Investoren und Unternehmer auf der Suche nach Produktions- und sp�ter Absatzm�rkten. Dieses Ph�nomen beschreibend, stellte der US-amerikanische Journalist Thomas L. Friedman prominent fest, die Erde sei praktisch flach, das andere Ende der Welt wie auf einer Erdscheibe in Sichtweite ger�ckt. Davon profitierten und profitieren allen voran die asiatischen M�rkte, die eine offensive Liberalisierungspolitik betrieben, sich �ffneten, deregulierten und so Zugang zu Weltm�rkten sowie Technologien erhielten, die zu gewaltigen Produktivit�tsfortschritten verhalfen. Die verst�rkte Au�enhandelspolitik erm�glichte den asiatischen Volkswirtschaften ihre Wirtschaftsleistung um ein Vielfaches zu vergr��ern und in den Wettbewerb mit etablierten Industriel�ndern zu treten. Was in Japan begann und auf die Stadtstaaten Hongkong und Singapur �bersprang, dann Korea und Taiwan erfasste, hat schlie�lich auch den Bev�lkerungsgiganten China in seinen Bann gezogen: wo vormals Ackerland war, rauchen heute die Schlote. Brauchte England knapp 60 Jahre um das eigene Bruttosozialprodukt pro Kopf zu verdoppeln, die USA 40, ben�tigte Indonesien hierzu schon nur noch 17 und China gar nur zw�lf Jahre. Mit zuletzt 11,4 Prozent Wirtschaftswachstum in 2007 sind die Chinesen l�ngst zur dampfmachenden Lokomotive der Weltwirtschaft geworden.
Doch der Wind dreht sich und das bisherige Standbein der asiatischen �berflieger, der Export in den Westen, ger�t ins Wanken. Vor allem steigende Transportkosten, lange Lieferzeiten sowie die ausufernde Teuerung machen Asien als Produktionsstandort unattraktiver. Der bisherige Standortvorteil wird zunehmend zum Nachteil. Zuletzt beschloss beispielsweise der deutsche Stofftierhersteller Steiff, seine erst 2004 nach China verlegte Produktion nach Deutschland zur�ckzuholen.
F�r die asiatischen Aufsteiger ist diese Entwicklung alarmierend. Beispiel S�dkorea: machte der Anteil der G�terausfuhr in den 1970er Jahren rund 10 Prozent des BIP aus, liegt der Anteil zu Beginn des 21. Jahrhunderts bei schon 38 Prozent. Die f�r Asien so beispielhafte Kombination aus Exportabh�ngigkeit, energieintensiver Manufaktur und Abh�ngigkeit von Roh�limporten macht das Land besonders krisenanf�llig. Als im Sommer internationale Investoren aufgrund der Finanzkrisen sowie des steigenden �lpreises ihr Kapital abzogen, geriet der koreanische Markt in einen regelrechten Taumel abw�rts. Der Aktienindex KOSPI brach im Juni binnen weniger Tage um 15 Prozent ein.
Auch der Bev�lkerungsgigant China k�mpft mit den Folgen des eigenen Superwachstums. Infrastrukturell grenzt das Land des L�chelns an seine Grenzen: Energie wird knapp, die Wasserversorgung in den Zentren ist nicht gesichert, Bauqualit�t entspricht nicht internationalen Standards und geordnete Stadtplanung findet bis heute kaum statt. Besonders das wirtschaftsrelevante Verkehrs- und Transportsystem erweist sich mehr und mehr als ernsthaftes Problem im Riesenreich, das in der Fl�che 27-mal gr��er ist als Deutschland. Au�erhalb der Boomregionen ist das Stra�en- und Eisenbahnnetz d�nn, Verkehr staut sich, Z�ge k�nnen im Schnitt nur ein Drittel der Frachtw�nsche erf�llen. Die vielerorts unterentwickelte Infrastruktur belastet Unternehmen, entwickelt sich zum Kosten- und Standortnachteil. Mit rund 18 Prozent des BIP liegen die Logistikkosten in China bereits doppelt so hoch wie in Industriestaaten.
Dass die Globalisierung, die der Region wachsenden Wohlstand gebracht hat, auch weiterhin der Schl�ssel zum Erfolg sein wird, ist durchaus m�glich. Auf dem Weg dorthin muss an der Weichenstellung des energieintensiven Transports justiert werden. Finden Reeder, Spediteure und Logistiker neue, effiziente und kosteng�nstigere L�sungen, optimieren sie Ladungen und Routen, stellen sie von der Stra�ennutzung auf Bahn sowie Schiffnutzung um und sch�pfen sie M�glichkeiten aus, Distanzen, Gewichte und Energieverbrauch zu minimieren, kann dies zu einer weiteren Welle der Globalisierung werden. Dar�ber hinaus werden auch die Regierungen gefragt sein, in die eigene Infrastruktur zu investieren, Bahnnetze zu erweitern, H�fen und Br�cken zu erneuern und nachhaltige Verkehrskonzepte aufzustellen. Steigende Energie- und Transportkosten werden auch weiterhin von Bedeutung, aber vor allem Ansporn und Reiz sein, in den Wettbewerb miteinander zu treten. Was als Bedrohung des Erfolgs wirkt, kann zur L�sung des Problems beitragen. Findet Asien kraft Modernisierung, Innovation und Reformen zeitgerechte Antworten, kann der Kontinent trotz steigender Ressourcenknappheit und um sich greifender Teuerung zum stabilisierenden Faktor der Weltwirtschaft werden.